Neue Heimat

(Foto: Tanja Djordjevic)
(Foto: Tanja Djordjevic)

Einer alten Maxime zufolge muss man wissen, woher man kommt, um zu wissen, wer man ist. Muss eine globalisierte Gesellschaft mit offenen kulturellen Grenzen den Begriff „Heimat“ verwerfen oder hat er doch zeitgenössisches Potenzial?

von Carolin

Muffig und gestrig; unerträglich in seinem Ethnozentrismus, in seinem Gegensatz zu „Fremde“. So mag einem der Mythos „Heimat“ heute erscheinen. Dichter wie Friedrich Hölderlin umschreiben mit ihm ein altes Ideal, das zurückführt zu Ursprünglichkeit, Natürlichkeit – irreführender Kitsch, möchte man meinen. Dabei beschrieb Hölderlin dieses Ideal gerade aus der Ferne, nämlich in seinem Gedicht „Der Wanderer“, als nunmehr Unerreichbares. Unter ähnlichen Vorzeichen stellt sich die Frage nach „Heimat“ gegenwärtig erneut: im Kontext globaler Mobilität, im Zeichen transnationaler und transkultureller Prozesse. So scheint das Wort neuerdings wieder Konjunktur zu haben. Kann ein Begriff, der gerade hinsichtlich seiner Instrumentalisierung in der deutschen Geschichte proble-matisch ist, noch kompatibel sein mit der Erfahrung einer globalisierten Welt? Kann er sich lösen von der Stilisierung einer statischen Idylle gegenüber ihrem negativen „Anderen“ und sich öffnen für fließende Grenzen zwischen Kulturen?
In der ursprünglichen Verwendung bezog sich „Heimat“ sachlich auf den Geburts- oder Wohnort und war damit von Beginn an räumlich bestimmt. Da sich „Heimat“ im späten 19. Jahrhundert juristisch mit bestimmten Rechten, etwa auf Alters- und Krankenfürsorge, verband, waren die Weichen für einen identifikatorischen Begriff gestellt. So bezeichnet er die Verbindung eines Raumes mit einem Individuum bzw. einer Gruppe von Menschen, die ihre Identität unter anderem aus dieser Verbindung ableiten. Der Boden, bis in die 1930er Jahre in Deutschland noch dörflich und regional gefasst, verwächst mit dem Menschen, der ihn bearbeitet und belebt. Diese Beziehung zwischen Raum und Mensch wurde im Dritten Reich zur Blut-und-Boden-Ideologie ergänzt und in ihr die räumliche Kate-gorie von der ländlichen Region zur ethnisch homogenen Nation erweitert. In dieser Ausdeutung fand sie ihre Anwendung etwa im propagandistischen Heimatfilm der Nazi-Ära. Vor allem diese Verwendung des Begriffes ist es, die die zeitgenössische Skepsis gegenüber der „Heimat“ als trügerischem Idyll und Strategie der Emotionalisierung begründet.

„Heimat“ vs. Geschichte

Ein erneutes Aufleben und seine Blüte-zeit erfuhr der Begriff in den 1950er Jahren. Unter den Vorzeichen von Flucht und Vertreibung wurde nun ein Anspruch auf „Heimat“ formuliert – und derweil die geschichtliche Ursache der „Heimatlosigkeit“ zumeist ausgeblendet. So zeichnet sich die Verwendung des Begriffes „Heimat“ durch eine Ambivalenz aus: Zwar floriert er besonders im Kontext von zeitgeschichtlichen Konfliktlagen oder aber Brüchen der persönlichen Biografie. Die Inszenierung von Heimat in der kulturellen Praxis spart jedoch konkrete gesellschaftspolitische Hintergründe großzügig aus und setzt ihnen Kontinuität und Stabilität entgegen, kurz: Tradition oder gar Nostalgie.
Noch einmal wird „Heimat“ im Zuge der grünen Anti-Atomkraft-Bewegung der späten 1970er und 1980er Jahre wiederbelebt. Das bis dahin konservativ konnotierte Konzept wird nun von einer linken Protestkultur heraufbeschworen. Die Verbundenheit des Menschen zu einem schützenswerten Naturraum na-mens „Heimat“ wird dabei zur Losung einer Bewegung, die dem „alten“, diktierten Heimatbild der politisch Konservativen den Rang abläuft. Diese Entwicklung verdeutlicht zum Einen, dass Heimat nicht zwangsläufig unvereinbar sein muss mit emanzipa-torischen Bestrebungen. Zudem macht sie besonders deutlich: „Heimat“ hat stets mit Aneignung zu tun, der eines Raumes oder, wie in diesem Beispiel, des Begriffes selbst.
Aus dieser Umdeutung des „Heimat“- Begriffes lässt sich auch die zeit-genössische „Heimat“-Erfahrung besser verstehen, die häufig durch multi-, inter- oder transkulturelle Prozesse geprägt ist. Das Ideal der modernen globalisierten Gesellschaft hat den Reisenden zum Protagonisten und den großstädtischen, multikulturellen Kiez zum Ort der Hand-lung gemacht. Die Rolle des dörflich-ländlichen Raumes zur Konstruktion von „Heimat“ in Deutschland schwindet – und mit ihr der Staub, der den Begriff lange Jahre zudeckte. Heimatfilm, Volksmusik, Trachtenfeste werden von neuen Formulierungen des „Heimat“-Gedankens verdrängt. Heute stellt sich die Frage nach „Heimat“ explizit in jenen Lebenssituationen, die für eine globalisierte, tendenziell transkulturelle Gesellschaft kennzeichnend sind: Im Transit, d.h. der individuellen Lebens-gestaltung über geographische Grenzen hinweg, und in urbanen, heterogenen Räumen. So werden gerade Stadtteile der sozio-kulturellen Durchmischung zu schützenswerten Orten erklärt, die häufig im Konflikt stehen zwischen jener Offenheit, die den multikulturellen Kiez erst ermöglichte, und einer Verteidigung nach außen, gegenüber den neuen „Anderen“: Den Immobilienhaien und anderen Gentrifizierern. Die geschicht-liche Altlast vom exklusiven territorialen Anspruch mit dem Prädikat „Heimat“ – ist sie bei aller multikulturellen Fort-schrittlichkeit doch nicht überwunden?

Der entfremdete Begriff

Ernst Bloch fasste den „Heimat“-Begriff einst zusammen als Phänomen, das „allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war.“ Eine Utopie. Sie gründet sich auf den (drohenden oder erlebten) Verlust derselben und kann folglich als unabschließbare Frage und Suchbewegung gelten. Der wichtigste Schluss, den eine moderne Gesellschaft hieraus sowie aus der Geschichte des Begriffes in Deutschland ziehen kann, ist, dass er sich selbst erschafft. Sein Verhältnis zur „Fremde“ ist dialektisch: Ohne sie ist „Heimat“ gar nicht denkbar.
Statt als starren Antagonismus könnte man „Heimat“ und „Fremde“ jedoch auch in einem dynamischen Prozess der ständigen Verschiebung begreifen. In ihm würde immer wieder neu verhandelt, wann „Fremde“ zur Heimat wird. Anders als die problematische Begriffsgeschichte dies vorzeichnet, wäre „Heimat“ so mit Interkulturalität vereinbar – und damit zunehmend unabhängig von räumlichen Kategorien. Ein solches „Heimat“-Verständnis mag selbst eine Utopie sein. Der Rede von „Überfremdung“ und anderen alten Heimat-Mythen, derer sich vor allem Rechtsradikale bis heute bedienen, würde es jedoch den Boden entziehen.

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