Das Leben gezeichnet

Manchen gilt er als Erfinder der Comic-Reportage, vielen als Meister des Genres: Joe Sacco wurde für seine Arbeiten mehrfach ausgezeichnet – auch wenn er bewusst nicht „objektiv“ sein will.

von Frank

Er studiere Journalismus, aber kehrte dem Schreiben bald den Rücken, da er darin keine erfüllende Aufgabe fand: Joe Sacco widmete sich stattdessen seiner Leidenschaft, dem Comic-Zeichnen. Als er sich Anfang der 90er-Jahre in Israel und den palästinensischen Gebieten aufgehalten hatte, ließ ihn das dort Erlebte nicht mehr los, und er verarbeitete Palästina in einer Reihe reportagenartiger Comic-Geschichten, die 1996 unter dem gleichen Titel publiziert wurden. Es folgten weitere Arbeiten, über Bosnien, Gaza oder den Irak, die oftmals in namhaften Zeitungen und Magazinen wie dem TIME Magazine oder dem Guardian erschienen sind. Heute gilt der 1960 auf Malta geborene Comic-Journalist vielen als Meister des gezeichneten Journalimus – „Sacco ist Erschaffer und Genie dieser Form“ urteilte die Neue Zürcher Zeitung. Eine Zusammenstellung seiner Kurz-Reportagen ist unter dem passenden Titel Reportagen in Verlag Edition Moderne erschienen.

Der Band vereint mehrere von Saccos kürzeren gezeichneten Berichten, u.a. aus dem Irak, dem Kaukasus, Indien oder Palästina. Besonders im Gedächtnis bleiben aber auch seine Bilder vom Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag, wo er 1998 zwei Wochen verbrachte. Kriegsverbrechen und deren Aufarbeiten, in bunten Comic-Panels präsentiert, das mag auf den ersten Seiten seltsam, vielleicht sogar verstörend wirken. Denn als Comic wirken solche historischen Gräueltaten, das zeigt Saccos Reportage aus Den Haag, auf ganz eigene Weise. Auch die in weiteren Reportagen verarbeiteten Bilder von Auffanglagern und zerbombten Städten, seien sie nun farbig oder schwarzweiß gehalten, bieten selbst dem informierten Leser einen ganz anderen, ungewohnten Blick die Bilder, die dieses „Jahrhundert des Schreckens“ (so Sacco in Das Kriegsverbrecher-Tribunal) hinterlassen hat.

Boris Jelzin als Comic-Figur

Nicht zuletzt darin liegt ein besonderes Potenzial, das auch der Zeichner selbst erkennt: Der Comic als ein Medium der Jugend- und Popkultur, vermag es nach Saccos Auffassung, die Leser auch in komplexe Themen zu „locken“. So erläutert er beispielweise historische Zusammenhänge wie den Tschetschenien-Konflikt, u.a. mit Karten, historischen Aufnahmen und Porträts der relevanten politischen Akteure – natürlich allesamt von ihm gezeichnet. Damit eröffnet er die Möglichkeit, auch Jugendlichen, die vielleicht (noch) keinen Bezug zu Politik oder Geschichte, wohl aber zum Medium Comic haben, einen Zugang zu derartigen Themen zu verschaffen.

Dennoch: Man muss sich beim Lesen der Tatsache bewusst sein, dass Saccos Reportagen eben in erster Linie eine künstlerische und journalistische Verarbeitung seiner Erlebnisse vor Ort sind – und keine in irgendeiner Weise wissenschaftliche Darstellung. In dem, was er im Vorwort zu Reportagen das Streben nach „Erlangung zeichnerischer Wahrhaftigkeit“ nennt, ist es ihm natürlich wichtig, Menschen und Objekte so genau wie möglich wiederzugeben; bei Szenen in der Vergangenheit greift er entsprechend auf Recherchen in Büchern und Archiven zurück, um seine Zeichnungen inspirieren zu lassen.

„Der Journalist muss danach streben, herauszufinden, was geschehen ist, nicht die Wahrheit im Namen der Ausgewogenheit kastrieren.“
(Joe Sacco im Vorwort zu „Reportagen“)

Doch Joe Sacco geht es nicht um Objektivität; er selbst bezeichnet sich „Anhänger der subjektiven Berichterstattung“, der erst gar nicht versucht, sich als Person aus seinen Geschichten herauszulassen. Stattdessen gibt er bewusst zu – auch im gezeichneten Bild – an Ort und Stelle gewesen zu sein: „Indem ich eine der Figuren in meinem eigenen Werk werde, gebe ich mir damit die journalistische Erlaubnis, meine Beziehungen zu den Menschen zu zeigen, die ich treffe“, erklärt er dazu. Diese Einstellung verwundert nicht: Sacco ist ein ausgesprochener Kritiker dessen, was er als Heiligtümer des amerikanischen Journalismus bezeichnet (die man ähnlich jedoch auch im deutschen Journalisten-Einmaleins finden würde): Objektivität und Ausgewogenheit. Beides strebt er, quasi als Überzeugungstäter, also auch in seinen gezeichneten Reportagen nicht an. Macht er es sich damit nicht ziemlich einfach – vielleicht zu einfach, um im journalistischen Sinne angepriesen zu werden? Sacco sieht aber gerade einen Vorteil des grundsätzlich interpretierenden Mediums Comic darin, „die Grenzen des traditionellen Journalismus zu sprengen“. Ob Sacco dabei bisweilen den Bereich des Journalistischen schlicht und einfach verlässt, möge der Leser selbst entscheiden.

Joe Sacco:
Reportagen
Edition Moderne, 2013
192 Seiten
24,00 €

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