Die clevere Supermacht

Zentrale der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau (Foto: Steve Collins)
Zentrale der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau (Foto: Steve Collins)

Globaler Führungsanspruch der USA – auch in der Forschung? Wie in der Weltpolitik strebt auch hier ein neuer Akteur nach oben: China.

von Frank

Mit dem Ende des Kalten Krieges standen die USA plötzlich ohne ihren größten Konkurrenten auf der weltpolitischen Bühne. Manch einer sprach gar von einem „unipolaren Moment“ der Geschichte. Gleichzeitig begann in den anschließenden Jahren der langsame, aber stetige Aufstieg Chinas zum ebenbürtigen Herausforderer der amerikanischen Supermacht. Bemerkenswert: die nahezu parallele Entwicklung im Bereich Wissenschaft und Forschung.

Die fehlende Generation
Als das Sowjetreich vor 20 Jahren die einzelnen Republiken in die staatliche Unabhängigkeit entließ, war das der Startschuss zu umfangreichen Veränderungen in Politik, Wirtschaft und Justiz. Aber nicht alle Gesellschaftsbereiche wurden „runderneuert“. Lange nachdem die Rote Fahne über dem Kreml eingeholt worden war, verharrte die Forschungslandschaft Osteuropas in ihren alten Strukturen: die Akademien der Wissenschaften als die eigentlichen Träger von Wissenschaft und Forschung, die Universitäten als reine Lehranstalten. Bis heute kennzeichnet dieser Dualismus viele der postsowjetischen Länder, erklärt Osteuropa-Historiker Guido Hausmann. „Auch die Forscher an den Akademien waren bis vor wenigen Jahren noch die alten aus Sowjetzeiten, 70-jährig und älter! Es fehlt eine ganze Generation von Wissenschaftlern, die in den 1990er Jahren wegen fehlender Perspektiven das Land verlassen haben“, so Hausmann.
Mittlerweile wachsen allerdings neue Forschergenerationen nach. Grund dafür ist der allmähliche Aufbau von Förderstrukturen für die Wissenschaftler; lange war die Verteilung von Forschungsgeldern rein staatlich geregelt. Unabhängige Stiftungen wie in Deutschland gibt es bis heute kaum. „Damit hatten praktisch zwei Forschergenerationen nicht die Möglichkeit, unabhängig von ihren Vorgesetzten an Gelder zu kommen“, erklärt Guido Hausmann. Das Problem, dass mit einer solchen Abhängigkeit gezielt Politik betrieben werden kann, zeige sich vor allem in Russland.
Viele Wissenschaftler suchten in Kooperationen mit westlichen Kollegen einen Ausweg; in den östlichen Staaten der EU bilden auch die Fördertöpfe in Brüssel eine wichtige Alternative zu den schwach entwickelten Förderstrukturen. Grund für den Abstieg der Wissenschaft waren dabei nicht nur die wirtschaftlichen Probleme nach dem Ende der Sowjetunion: Mit der Blockkonfrontation entfiel auch der wichtigste Grund für die intensive Förderung militärisch relevanter Forschung, die vor allem den Natur- und Ingenieurswissenschaften jahrzehntelang zu Gute gekommen war.

Neue Prioritäten?
Auch beim ehemaligen Gegner der UdSSR stellte das Ende des Kalten Krieges eine Zäsur in der Forschungspolitik dar. Nach dem Wegfall der sowjetischen Bedrohung kam die Frage auf, welche Forschung man sich noch leisten wollte. „Die staatliche Wissenschaftsförderung ist in den USA ohnehin etwas relativ Neues; erst seit dem Manhattan Project zum Bau der ersten Atombombe hatte der Staat massiv in Forschung – vor allem militärische – investiert“, erklärt Matthias Enders. Der Jenaer Politikwissenschaftler erforscht die politische Steuerung wissenschaftlicher Erkenntnisse in den USA. In den 1990er Jahren seien die staatlichen Mittel für die Forschung tatsächlich kontinuierlich zurückgegangen – allerdings war die Militärforschung davon kaum betroffen: „Die Kongressabgeordneten, die über die Vergabe der Gelder entscheiden, haben teilweise Militäreinrichtungen oder Auftragnehmer des Pentagons in ihrem Wahlkreis“, erklärt Enders. Gekürzt wurde stattdessen vor allem bei den nicht-militärischen Ingenieurswissenschaften und bei der Grundlagenforschung. Diese werden jedoch weiter durch die National Science Foundation gefördert, die – wie die deutsche DFG – keinem Ministerium untersteht.

Der Kuppelbau des MIT in Cambridge, Ma. (Foto: Mathieu Thouvenin)
Der Kuppelbau des MIT in Cambridge, Ma. (Foto: Mathieu Thouvenin)

Insgesamt hat sich Washington in den letzten Jahrzehnten allerdings stärker auf punktuelle, aufgabenorientierte Förderung zurückgezogen; das Gewicht der Gelder aus der Privatwirtschaft hat seit den 1970er Jahren massiv zugenommen. Beide Seiten haben dabei durchaus ein Interesse daran, Einfluss auf die Wissenschaft und deren Ergebnisse auszuüben. Während die fördernden Unternehmen dabei ihre Vorstellungen relativ offen darlegen können, greift der Staat eher implizit ein. Personalentscheidungen spielen hier eine wichtige Rolle, wie Matthias Enders erläutert: „Unter George W. Bush gab es öfter Beschwerden aus der Wissenschaftsgemeinschaft, etwa wenn er Personen aus der Energiewirtschaft berief, die sich um Naturschutzprojekte kümmern sollten. Zu welchen ‚Ergebnissen’ das dann führt, ist offensichtlich.“ Mitsprache fordern auch die zahllosen Komitees, Ministerien und Gremien, die ebenso über die Verteilung der Gelder bestimmen. Die enorme Zahl beteiligter Akteure erklärt sich schnell, wenn man sich vor Augen führt, um welche Summen an Fördergeldern es geht: Die USA stemmen allein etwa ein Drittel der weltweiten staatlichen Forschungsausgaben – mehr als alle 27 EU-Länder zusammengenommen. Nimmt man die Gelder von Unternehmen und Privatspendern hinzu, wundert es kaum, dass in den weltweiten Rankings der Hochschulen fast nur US-amerikanische Unis auf den vorderen Plätzen landen. Gerade der Großraum Boston, mit der Harvard University und dem Massachusetts Institute of Technology (MIT), wirkt wie ein Sammelbecken für die klugen Köpfe der Welt.

„Amerikanische Forscher haben herausgefunden…“
Die Position als weltweit größte Wissenschaftsnation zeigt sich auch an den Listen der Nobelpreise, welche die Vereinigten Staaten in den Kategorien Physik, Medizin und Chemie unangefochten anführen. Der Nobelpreis für Wirtschaft ging gar in den Jahren von 2000 bis 2009 durchgängig an US-Amerikaner. Häufig stammen die Preisträger allerdings aus anderen Ländern, forschen und arbeiten jedoch seit Jahren in den Vereinigten Staaten. Die besseren akademischen Voraussetzungen, die gute Bezahlung und die vergleichsweise geringen bürokratischen Hürden ziehen viele Wissenschaftler aus allen Regionen der Welt in die USA – oft zum Leidwesen ihrer Herkunftsländer. So wartet etwa China bis heute auf seinen ersten „einheimischen“ Nobelpreisträger: Bisher erhielten nur im Ausland forschende Chinesen die begehrte Auszeichnung. Als 2009 der in Shanghai geborene Charles Kuen Kao den Physiknobelpreis erhielt, stand das symptomatisch für eine offene Wunde des chinesischen Wissenschaftssystems: Kao arbeitet und forscht in den Vereinigen Staaten, wie viele gut ausgebildete asiatische Wissenschaftler, die seit Jahrzehnten an die renommierten US-Unis kommen. Die amerikanischen Denkfabriken werben teils ganz gezielt die klugen Köpfe aus Japan, Indien oder China an; diese sind oft motivierter als der „verwöhnte“ westliche Forschernachwuchs.

(Foto: flickr-User JcOlivera.com)
(Foto: flickr-User JcOlivera.com)

Alle – außer der Volksrepublik – profitierten in der Regel von den Heimkehrern aus dem Westen. Nur in China war ihr Anteil bis Anfang der 1990er Jahre sehr gering; Grund waren unter anderem die wesentlich schlechteren Forschungsbedingungen an Chinas Hochschulen. Das kommunistische Regime begann daher, den Forschernachwuchs gezielt über Anreize „heimzuholen“: Man ermöglichte ihnen den Aufbau großer Forschungsgruppen oder ganzer Institute in kurzer Zeit, für die gut qualifizierte, motivierte Arbeitskräfte bereit stehen – und das bei vergleichsweise niedrigen Personalkosten.
Die Volksrepublik wirbt mit noch einem weiteren „Standortvorteil“: Das Land bietet gute Rahmenbedingungen für international nicht unumstrittene Forschung in Bereichen wie der Stammzellenforschung. Überhaupt sind es vor allem die Natur- und Ingenieurswissenschaften, die von Chinas Führung als Garanten für Fortschritt und internationales Ansehen gefördert werden. Die National Natural Science Foundation (NNSFC) bezuschusst mit staatlichen Mitteln vor allem genetische und medizinische Forschung sowie Nanotechnologie. Die Stiftung, die von internationalen Fachleuten beraten wird, unterstützt auch Nachwuchs- und Gastwissenschaftler.

Das Umdenken des Drachens
Die Strategie der kommunistischen Führung, das Land durch Wissenschaft und Technologie zum Aufschwung zu bringen, lässt dabei sogar Kommerzialisierung zu. Seit Jahren ermutigt die Regierung private Investoren zur Forschungsfinanzierung. Die Verbindungen von Wissenschaft und Wirtschaft werden ganz bewusst immer enger. Auch an den Hochschulen wächst die Orientierung an für den Markt verwertbarem Wissen. In den letzten Jahren zählten IT, BWL und Management neben Anglistik und Jura zu den begehrtesten Studienfächern. Auch werden immer mehr private Bildungseinrichtungen zugelassen.
Aber nicht nur die Zahl der Hochschulen wächst: China ist auf dem besten Weg zur „mass higher education“; allein zwischen 1998 und 2004 hatte sich die Zahl der Studenten an regulären Hochschulen vervierfacht. Auch der Output an Forschungspapieren steigt immens – möglicherweise ein wissenschaftskulturelles Mitbringsel der „Heimkehrer“ aus den USA. Dort herrscht seit Jahren ein massiver Publikationsdruck („publish or perish“). Ebenso gilt in China die Anzahl der Veröffentlichungen als Gradmesser für die akademische Qualität einer Person. Die Folge ist nicht nur eine steigende Anzahl von wissenschaftlichen Abhandlungen aus chinesischen Federn; der Veröffentlichungsdruck führt auch zu vielen Plagiaten. Kontrollen zur Einhaltung wissenschaftlicher Richtlinien existieren fast nicht. Aber das aufstrebende Wissenschaftssystem der Volksrepublik krankt noch an anderen Problemen: Die Spitzenforschung konzentriert sich auf Elite-Institute, zudem werden Sozial- und Geisteswissenschaften bei der Modernisierung vernachlässigt. Die einseitige Ausrichtung der Förderung auf Natur- und Ingenieurswissenschaften und eine kleine Elite könnte China auf lange Sicht schaden.
In Acht nehmen sollte sich aber auch die westliche Konkurrenz. So stiegen zwar laut einer aktuellen EU-Studie die Forschungsinvestitionen US-amerikanischer Unternehmen im letzten Jahr um beachtliche zehn Prozent. Noch höhere Wachstumsraten verzeichnen allerdings Unternehmen in einigen asiatischen Ländern. Allen voran, mit fast 30 Prozent Zuwachs: China.

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