Sie hetzen gegen den „Multikulti-Terror“, vergleichen den Koran mit „Mein Kampf“ und fordern, islamische Länder mit Atomwaffen zu bombardieren. Einige linksextreme Gruppen sehen im Islam die größte Bedrohung der Welt und ziehen in ihren Forderungen weit rechts an den Rechtsextremen vorbei.
von fabik
„Fast wäre es die perfekte Demonstration geworden“, erzählt Matthias. „Wie aus dem nichts“, freut er sich, „wurden es 40.000 Menschen“, die am 20. September des vergangenen Jahres in Köln gegen Islamfeindlichkeit und gegen den „Anti-Islamisierungskongress“ der rechtsradikalen Kölner Bügerbewegung „pro Köln“ demonstrierten. Vom Altkommunisten bis zum einfachen Kölner Bürger – jeder schien dabei gewesen zu sein. Letztendlich gelang es sogar, „pro Köln“ an ihren Veranstaltungen und ihrer Hetze gegen Muslime zu hindern.
Matthias ist Anfang 20, bezeichnet sich selbst als Antifaschist und bat darum, seinen Namen zu ändern. Einen Haken hatte die Demonstration damals, wie er erzählt: Ein paar Hundert schwarzvermummte Jugendliche passten nicht so ganz in das Bild dieses Protestzugs. Während sie sich am Kölner Hauptbahnhof an die Spitze der Demonstrationen setzten, etwas von „Nie wieder Deutschland!“ schrien und Israel- und USA-Fahnen über ihnen wehten, prangte neben einer grimmigen Comicfigur in übergroßen Lettern „Gegen Islamismus“ vom übergroßen Transparent. Ging es hier nicht darum, Solidarität mit den Kölner Muslimen zu zeigen? Gab man nicht der Gegenseite Zuspruch, wenn man gerade heute vor angeblichen oder realen islamischen Bedrohungen warnte?
Linke, die den Rassismus für sich entdeckt haben
„Diese Leute haben nichts mit uns gemein“, beteuert Matthias immer wieder in einem kleinen Café am Rande des Weimarer Schlossparks Belvedere. Mit „diesen Leuten“ meint er eine Bewegung, die sicherlich zu den widersprüchlichsten und deren gefährliche Ideologie zu den unterschätztesten gehört. Sie verstehen sich selbst als Linke, die sich von der Linken emanzipiert zu haben meinen. Muslime bezeichnen sie als „grüne Nazis“, sie selbst nennen sich „Antideutsche“. Doch tatsächlich scheinen ihre Argumentationsmuster sehr dem zu entsprechen, was man in negativer Weise gemeinhin mit dem Begriff „deutsch“ assoziiert. Es sind Linke, die den Rassismus für sich entdeckt haben, und dieser richtet sich zunehmend gegen Muslime.
Vor Matthias liegen ein paar Ausgaben der antideutschen Szenezeitschrift Bahamas. Das sei die schlimmste, sagt er. Die Bahamas ist so etwas wie das Leitorgan der Bewegung. In ihr bildete sich Anfang der 1990er-Jahre deren Ideologie heraus und radikalisierte sich stetig weiter. Eine „verrohte und verrohende Religion“ sei der Islam, oder „Wer PDS wählt, wählt den Islamfaschismus“ prangt von ihren Seiten. Die Artikel sind größtenteils im Ton politischer Kampfschriften geschrieben, die dort vertretenen Argumentationen sind so löchrig wie polemisch.
Der antisemitische Deutsche wird zum barbarischen Muslim
Die Abtrennung der Antideutschen von der übrigen Linken war ein wenig beachtetes Phänomen in der aufgeregten Wendezeit. Während in Leipzig zehntausende Menschen für das nahende Ende der DDR und die deutsche Wiedervereinigung demonstrierten, fanden sich in Frankfurt/Main 20.000 Anhänger kommunistischer Gruppen und der Grünen zusammen, um auf die Gefahren der Wiedervereinigung aufmerksam zu machen. Den Deutschen, so die Demonstranten schon damals, sei der Antisemitismus kulturell quasi unauslöschbar eingeschrieben, und jeder deutsche Staat führe so unweigerlich in den Faschismus.
„Was ist denn davon geblieben?“, fragt mich Matthias, nervös am Revers seiner Jacke herumspielend, als ich ihm entgegne, dass man ihnen doch wenigsten zugutehalten müsste, auf Ängste aufmerksam gemacht zu haben, die in der Euphorie der Wendejahre ungehört blieben – Ängste, die in den kommenden Jahren zwischen Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda scheinbar ihre Bestätigungen fanden. Doch tatsächlich scheinen Antideutsche heute zu genau dem geworden zu sein, was sie einst zu bekämpfen vorgaben. Der Islam ersetzte in den Folgejahren die deutsche Kultur als Prototypen unzivilisierter Barbarei. Aus dem per se antisemitischen Deutschen wurde der menschenverachtende Moslem.
Gegen die „Multikulti-Hölle“ Berlin-Kreuzberg
Heute sucht man vergeblich nach Antideutschen auf regenbogenfarbenen Friedensdemos. Antideutsche wähnen sich als Speerspitze in einem Kulturkampf zwischen aufgeklärter Demokratie und der islamischen Barbarei. Ihre Slogans lauten z.B. „Panzer in Ramallah – das ist wahre Antifa“, oder sie fordern die Bombardierung Bagdads mit Atomwaffen. Die Kriege im Irak und Afghanistan werden so zu „tätigem Antifaschismus“, wie die Bahamas schreibt, und George W. Bush zum „Man of Peace“. „Kapitalismus viel gut, Islam viel schlecht“, so brachte der Autor Georg Wißmeier die Komplexität der antideutschen Grundüberzeugung auf den Punkt.
„Eigentlich verurteilen sie alles, wofür linkes antifaschistisches Engagement einst stand“, erzählt Matthias leicht wehmütig. Antikapitalismus verurteilen sie als versteckten Antisemitismus. Antiimperialismus solidarisiere sich mit der islamischen Barbarei. Multikulturelles Zusammenleben lehnen Antideutsche deshalb ab, weil es Freiräume für Islamisten und Extremisten schaffe. Zur Abwehr dieses „Multikulti-Faschismus‘“, so berichtet der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalens, schrecken Antideutsche auch nicht vor „erheblicher Gewalt“ zurück. So attackieren vermummte Anhänger schon mal den Kreuzberger „Karneval der Kulturen“ und liefern sich Straßenschlachten und Messerstechereien mit anderen linken Jugendlichen. Ihr Vorwurf: Der Berliner Stadtteil sei zur „Multikulti-Hölle“ verkommen, Kreuzberg sei besetzt „von Islamofaschisten und arabischen Streetgangs“, die den „multikulturellen Terror“ schürten.
Die Wiederentdeckung des Volksbegriffs
„Eigentlich sind sie nichts als Rassisten!“, platzt es nach knapp zwei Stunden Gespräch deutlich genervt aus Matthias heraus. Galt doch gerade die Verwendung des Volksbegriffs in der Linken als Inbegriff eines rassistischen Weltbild, so wird er in der Antideutschen auf einem Niveau wiederbelebt, das sich vor dem Rassismus rechtsradikaler Gruppierungen nicht mehr verstecken müsse. Die Welt, da sind sich Antideutsche sicher, bestehe aus den „Deutschen“, den „Muslimen“ und den „Juden“. Und selbst die so lobenswerte wie stete Warnung vor dem Antisemitismus gerate zur Farce, so der israelische Soziologe Mosche Zuckermann, sie sei nicht mehr als Heuchelei. „Israel“, so schreibt Zuckermann in seinem Aufsatz „Was heißt: Solidarität mit Israel?“, werde von den Antideutschen als pure Projektionsfläche für eigene Befindlichkeiten missbraucht. Ihre „bedingungslose Solidarität“ verwandle die „reale Tragödie in eine Narrenposse.“
Der Erfolg der Antideutschen erklärt sich v.a. durch ihr scheinbares Verschwinden. Denn viele ihrer Programmatiken gehören heute zum linken Konsens. Es gibt kaum eine Anti-Nazi-Demo, auf der man nicht die Israel- oder USA-Fahne wehen sieht, obwohl die Ablehnung jedes Nationalismus‘ doch einst eine urlinke Forderung war. Das Thema Antiimperialismus, so erzählt Matthias, habe heute selbst in Diskussionsrunden in besetzten Häusern schnell etwas Anrüchiges. Waren es anfangs noch unbekannte Szenezeitschriften einer kleinen Subkultur, die wie die Bahamas oder die Leipziger Phase 2 antideutsche Schriften verbreiteten, so drangen antideutsche Themen später auch in die linke Mainstreampresse wie die „konkret“ oder die „Jungle World“ ein.
Islamfeindlichkeit wird ein Teil des Veranstaltungskalenders
Veranstaltungen, die vor der „islamischen Bedrohung“ warnen, sind heute selbstverständlicher Bestandteil jedes Antifa-Programmkalenders, die Podien werden überwiegend mit Antideutschen besetzt. So lud z.B. die Jenaer Antifa im Juni 2009 den antideutschen Autor Stephan Grigat zu einer Veranstaltung über „islamischen Antisemitismus“ ein. Der Islam, so meint Grigat, strebe nach der „Weltbeherrschung“, die die ganze Welt „zur Hölle machen werde.“
Grigat gehört übrigens zu den meistzitierten Autoren auf der rechtsextremen und islamfeindlichen Internetseite „Politically Incorrect“, die auch den Kölner „Anti-Islamisierungskongress“ der Bürgerbewegung „pro Köln“ mitorganisierte. Als der Demonstationszug damals in Richtung der Domplatte marschierte, erzählt Matthias, trat neben ihm ein älteres Paar aus dem Bahnhofsgebäude heraus. Nach ein paar Sekunden skeptischer Blicke murmelte die Frau zu ihrem Mann: „Das sind doch Nazis, oder?“ Es gibt sicherlich nicht viele Gründe, der Frau nicht mit einem „Ja“ zu antworten.
Illustration: gadscha
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